Das Setting: Eine erster Kontaktaufnahme

Ein paar Jahre bevor ich anfing als Product Manager zu arbeiten, war ich selbst ein sogenannter Tester. Das Testing fand unter der Produktentwicklung eines großen Sportschuhherstellers statt. Genau diese erste Erfahrung werde ich hier als Beispiel nutzen – denn sie hat einen Vorteil im Vergleich zu meinen eigenen Projekten: Ich kann sie aus unterschiedlichen Positionen beschreiben und auch Einblick in den reflexiven Moment als Tester geben.

Zu der Situation: Als ich an diesem Testing teilnahm, war ich anfangs etwas nichtsahnend dazu eingeladen, in angenehmer Atmosphäre meine Vorstellungen zu bestimmten Schuhsohlen auszudrücken. Das heißt, für welchen spezifischen Laufstil, Untergrund und für welche Distanz ich persönlich mir die einzelnen Sohlen aussuchen würde. Weiter welches Obermaterial mir sinnvoll erschien und auch in welchen Farben ich als Frau mir diesen Schuh wünschen würde. Daneben fielen Fragen zur Motivation, also warum ich laufe und welche Stellung Laufen für mich in meinem Leben einnimmt. Und letztendlich noch die kleine aber nicht ganz unbedeutende Frage, wann ich mir neue Schuhe kaufe: vor einem großen Wettkampf oder hinterher und was ich als den idealen Zeitpunkt zum Kauf empfinden würde.

Man sieht: viele essentielle Aspekte von der Entwicklung bis zum Release wurden hier geklärt. Vom Verständnis über das Produkt, bis hin zu Wünschen, wie ein genderspezifisches Produkt kreiert werden kann, bzw. ob Gender hier überhaupt eine Rolle spielen sollte (ich habe mir eben keine pinken Schuhe gewünscht).

Als kleiner Rückblick: In der klassischen ethnographischen Arbeit ist das Kernstück einer „Forschung“, und somit der Wissenssammlung, die „Teilnehmende Beobachtung“. Und hier kommen wir zu einigen Ratschlägen, die wir dir, lieber Leser für die Durchführung mitgeben können!

Ganz abhängig davon, welchen spezifischen Aspekt zu dem Produkt getestet werden, sollten möglichst alltägliche Erfahrungen der Tester auch durch das Setting ergriffen werden. Das A und O ist dabei, die richtigen Personengruppe herauszufinden und zu befragen. Schon einmal daran gedacht, dass jemand, der total verrückt nach E-Gaming ist und wahrscheinlich viel zu der Erfahrung und Qualität unterschiedlicher Controller erzählen kann, eventuell relativ wenig zum Profil unterschiedlicher Laufschuhe zu sagen hat? Jeder ist Experte in seinem Feld – und genau das muss genutzt werden: die Erfahrung, die Tester schon mitbringen und ihre Perspektiven, Ansichten sowie Wünsche.

Du willst wissen, wie die unterschiedlichen Schuhsohlen verstanden werden? Finde eine Gruppe von aktiven und erfahrenen Läufern, die sowohl kurze als auch lange Distanzen rennen.

Idealer Weise begleitest du eine ausgewählte Anzahl von Testern im Alltag. Das kann bedeuten, dass du dich zum Laufen verabredest oder einer Laufgruppe beitrittst. Hier müssen nicht zwangsläufig Fragen zu dem Produkt gestellt werden. Im Gegenteil! Lasse dich einfach von den Aktivitäten und Gesprächsthemen deiner Testgruppe treiben. Klingt erst einmal wie eine verdeckte Ermittlung oder eine angenehme Verschiebung deines Hobbys in die Arbeitszeit? Nein. Zum einen solltest du immer ganz offen und ehrlich sein, was deine Motivation betrifft und diese auch gleich zu Beginn äußern, vielleicht findest du dadurch ja direkt einen Einstieg in die Gruppe oder interessierte Teilnehmer; zum anderen bekommst du durch die aufmerksame Beobachtung Informationen, die essentielle sind, um die Nöte und Wünsche deiner potenziellen Kunden zu verstehen. So lassen sich spätere Interviewaussagen besser in Kontext setzen und in das Produkt implementieren. Denn was tust du? Du bringst implizites Wissen in Erfahrung: Selbstverständlichkeiten, die es aus der Sicht der Partizipanten nicht wert sind, ausgesprochen zu werden, „weil jeder sie weiß“.

Zudem kannst du gängige Stereotype auf ihren Gehalt überprüfen. Spiegeln die Mitglieder der Gruppe das noch vor einigen Jahren gängige Bild des Mitt-40-jährigen Marathonläufers wider, der grade in seiner Midlife Crises steckt? Oder bedarf es einer Anpassung der Zielgruppe an das Produkt?

Hast du diese Fragen geklärt, bist du schon einen großen Schritt weiter! Im nächsten Post werden wir tiefer in die Materie des Interviews einsteigen. Bis dahin wünschen wir dir viel Spaß dabei, das geeignete Setting zu finden.


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